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AAN-Jahrestagung 2024

NfL als Biomarker-Hotspot

An der diesjährigen Jahrestagung der American Academy of Neurology (AAN) in Denver waren die Bedeutung von Biomarkern bei neurodegenerativen Erkrankungen und ihre klinische Anwendbarkeit einer der Programmschwerpunkte. Die Diskussionen wurden angeregt durch zahlreiche Publikationen zu diesem Thema, die anlässlich des AAN 2024 hochkarätig veröffentlicht wurden.

Dr. med. Ahmed Abdelhak, San Francisco, untersucht zusammen mit Neurolog:innen von der Universität Basel bei zwei grossen Kohorten von MS-Patient:innen – von der EPIC-Studie der University of California und der Swiss Multiple Sclerosis Cohort (SMSC) – die dynamischen Veränderungen der Spiegel der Neurofilament-Leichtketten (NfL) im Liquor (cNfL) und im Serum/Plasma (sNfL bzw. pNfL) im Zusammenhang mit der MS-Progression und Akkumulation von Behinderung. Die Arbeitsgruppe konnte bereits zeigen, dass NfL ein vielversprechender Biomarker für die Vorhersage künftiger Behinderungen und damit zur Beurteilung des Krankheitsverlaufs bei MS ist. Analysen der beiden Kohorten zeigten erhöhte sNfL bereits mehrere Monate vor dem Eintritt von schädigenden Ereignissen.1 Diesen Befund interpretieren Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. med. Michael Khalil et al., Graz, in einer aktuellen Übersicht als «window of opportunity» für den Beginn einer krankheitsmodifizierenden Therapie, noch bevor eine Behinderungsprogression eintritt.2 Als ein neues Einsatzgebiet für ein NfL-Monitoring zunächst noch für die klinische Forschung sieht Abdelhak das NfL auch als Biomarker für remyelinisierende Therapien, wie die ReBUILD-Studie belegt.3 Dort war erstmals in einer randomisierten, kontrollierten, klinischen Studie eine Assoziation zwischen den sNfL-Werten im Verlauf einer erfolgreichen Remyelinisierung mit Clemastin im Sinne eines NfL-Rückgangs gezeigt worden.4

NfL und Kognition

Seit einigen Jahren nehmen die Hinweise auf eine Assoziation zwischen erhöhten NfL-Spiegeln und kognitiven Defiziten bei Patient:innen mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Parkinson oder Alzheimerdemenz, aber auch der MS, zu.5–7 Mehrere Poster zeigten jetzt auf dem AAN, dass offenbar auch bei Patient:innen mit einem Long-Covid-Syndrom die NfL-Spiegel mit kognitiven Defiziten assoziiert sind.8–9 Ein NfL-Monitoring könnte möglicherweise für MS-Patient:innen auch im Hinblick auf kognitive Beeinträchtigungen interessant werden, beispielsweise als Ergänzung zu kognitiven Tests wie dem SDMT («symbol digit modalities test»).10

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Das Interesse an der Rolle von Neurofilament-Leichtketten (NfL) im Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen hat in den letzten Jahren stark zugenommen

NfL-Messwerte werden derzeit als eine Variable des mittels Maschenlernens durchgeführten Berechnungsmodells XGBoost zur Prädiktion der Behinderungsprogression bei der schubförmigen MS (RMS) unter Therapie mit dem S1P-Modulator Ozanimod benutzt. Ausgewertet wurden die Daten der Phase-III-Studien RADIANCE und SUNBEAM sowie der Open-Label-Studie DAYBREAK (Daten-Cut-off: 7. April 2023). Prof. Ludwig Kappos et al., Basel, stellten in Denver erste Ergebnisse vor: Zu den von XGBoost identifizierten 10 wichtigsten Prädiktoren gehörten neben dem Baseline-NfL das GFAP («glial fibrillary acidic protein»), der 9-Hole Peg Test (9HPT), der FSS (Kurtze Functional Systems Score) zum Hirnstamm und zu Bowel/Harnblase, der T25W (Timed 25-Foot Walk Test), der BMI, der LCLA-Z-Score («low-contrast letter acuity») sowie die Zeit seit Diagnosestellung. Die ausgewerteten Patient:innen wurden einem niedrigen Progressionsrisiko (~2% nach 24 Monaten, ~6% nach 60 Monaten) bzw. einem hohen Progressionsrisiko zugeordnet (~17% nach 24 Monaten und ~26% nach 60 Monaten).11

Mediterrane Ernährung senkt sNfL

Dr. med. Elizabeth Verter und Mitarbeiter, Los Angeles, untersuchten in einer randomisierten, kontrollierten Pilotstudie den Einfluss einer mediterranen Ernährung auf die sNfL-Höhe. Insgesamt 18 MS-Patient:innen ernährten sich 6 Monate lang mit einer mediterranen Kost, als Kontrollen dienten 14 MS-Patient:innen, die sich wie gewohnt ernährten. In der Interventionsgruppe sanken die mittleren sNfL-Werte in diesem Zeitraum signifikant von 18,54pg/ml auf 15,43pg/ml (p=0,004). In der Kontrollgruppe stieg demgegenüber das sNfL nicht signifikant von 14,93pg/ml auf 16,16pg/ml (p=0,61). Diese Ergebnisse sollten in einer grösseren Studie repliziert werden, regten die Autor:innen an.12

Fazit für die Praxis

Grundsätzlich sollte die Beurteilung der sNfL-Werte immer im Zusammenhang mit dem klinischen Bild erfolgen. Vor der Implementierung eines sNfL-Monitorings in der klinischen Praxis sind noch einige Hausaufgaben zu erledigen, waren sich die Experten am AAN einig. Dabei müssen einige Variablen berücksichtigt werden, beispielsweise der BMI (– niedriger BMI > höheres NfL und vice versa) oder Komorbiditäten wie chronische Nierenerkrankungen. Auch müssen Messwertunterschiede verschiedener Analyseplattformen berücksichtigt werden.2 Hier können Methoden der künstlichen Intelligenz sinnvoll und erfolgreich eingesetzt werden.13

Jahrestagung der American Academy of Neurology (AAN), Denver, 13.–18. April 2024

1 Abdelhak A et al.: Neurofilament light chain elevation and disability progression in multiple sclerosis. JAMA Neurol 2023; 80(12): 1317-25 2 Khalil M et al.: Neurofilaments as biomarkers in neurological disorders — towards clinical application. Nat Rev Neurol 2024. doi: 10.1038/s41582-024-00955-x. Online ahead of print 3 Abdelhak A et al.: Acute and chronic demyelination independent of inflammation promotes tissue- and blood-markers of neuroaxonal pathology. AAN 2024; S17.010 4 Abdelhak A et al.: Plasma neurofilament light chain levels suggest neuroaxonal stability following therapeutic remyelination in people with multiple sclerosis. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2022; jnnp-2022-329221. doi: 10.1136/jnnp-2022-329221 5 Mattson N et al.: Association between longitudinal plasma neurofilament light and neurodegeneration in patients with Alzheimer disease. JAMA Neurol 2019; 76(7): 791-9 6 LoPresti P: Serum-based biomarkers in neurodegeneration and multiple sclerosis. Biomedicines 2022; 10(5): 1077 7 Aamodt W et al.: Neurofilament light chain as a biomarker for cognitive decline in Parkinson disease. Mov Disord 2021; 36(12): 2945-50 8 Maziero MP et al.: Serum neuroinflammatory biomarkers and long-term cognitive dysfunction. AAN 2024; Poster P11.002 9 Gouvea E et al.: Cognitive impairment in long COVID: molecular mimicry and neurofilament light chain (NfL) as disease mechanisms. AAN 2024; Poster P11.001 10 Van Dam M et al.: A multimodal marker for cognitive functioning in multiple sclerosis: the role of NfL, GFAP and conventional MRI in predicting cognitive functioning in a prospective clinical cohort. J Neurol 2023; 270(8): 3851-61 11 Kappos L et al.: Use of a machine learning model to predict disability progression in patients with relapsing multiple sclerosis treated with ozanimod. AAN 2024; Poster P6.006 12 Verter E et al.: Effect of modified mediterranean diet on serum neurofilament light chain: analysis from a randomized clinical trial. AAN 2024; Poster P2.6-004 13 Bandyopadhay S: How we got here. AAN 2024; C151 artificial intelligence and the neurologist: new horizons

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